eRockit – von der Insolvenz an die Front

Ein kritischer Blick auf den Wandel des Hennigsdorfer Start-Ups zur Militärschmiede

Von einem innovativen Hoffnungsträger der urbanen E-Mobilität auf zwei Rädern zum Entwicklungspartner für militärische Spezialkräfte: Die Geschichte von eRockitliest sich wie ein Lehrbuch über Visionen, Verwerfungen und den plötzlichen Sinneswandel im Angesicht wirtschaftlicher Not. Nach über einem Jahrzehnt Firmengeschichte meldete das Berliner Unternehmen Ende 2024 Insolvenz an. Nun taucht es mit seinem neuen Partner ARI Motors und einer neuen Zielgruppe wieder auf: NATO- und EU-Spezialkräfte.

Human-Hybrid-Technologie – am Markt vorbei entwickelt?

Bekannt wurde eRockit durch seine ungewöhnlichen, pedalbetriebenen Leicht-Elektromotorräder der Klasse L3e – eine eigenwillige Mischung aus Fahrrad und Motorrad, die per Muskelkraft gesteuert, aber elektrisch auf bis zu 110 km/h beschleunigt wurde. Die Zielgruppe: urbane Pendler, technikaffine Individualisten und E-Mobilitätsenthusiasten, die sich ein neuartiges Fahrgefühl versprachen – und bereit waren, dafür rund 12.900 Euro zu bezahlen.

Doch der Nischenmarkt erwies sich als eng, die Produktion in Hennigsdorf (bei Berlin) kostspielig und das Wachstum schleppend. 2024 folgte die Insolvenz – das vorläufige Ende der zivilen eRockit-Vision. Jetzt folgt der radikale Strategiewechsel: Gemeinsam mit dem sächsischen E-Nutzfahrzeughersteller ARI Motors will eRockit das Joint Venture eRockit Defence“ gründen. Ziel ist die Entwicklung militärisch nutzbarer Elektro-Zweiräder. Der Sitz: Berlin. Die Produktion: im sächsischen Borna und im tschechischen Říčany.

Der Name ist Programm

Für NATO-Einheiten, Krisenreaktionskräfte, Grenzschützer und militärische Spezialtruppen sollen wendige, leise und robuste E-Zweiräder entstehen. Das angepeilte Marktvolumen liegt bei bis zu 100 Millionen Euro. Rund 300.000 Soldaten in Spezial- und Einsatzkräften von NATO und EU gelten als potenzieller Kundenkreis. Die Einsatzszenarien reichen von Fernaufklärung über Grenzsicherung bis hin zu UN-Missionen oder zivilen Behörden. Geplant sind Flottengrößen zwischen 10 und 200 Fahrzeugen pro Einheit. Der Stückpreis soll zwischen 15.000 und 20.000 Euro liegen.

Das erste Modell der neuen Linie soll bereits in einem Jahr vorgestellt werden: ein nahezu lautloses, elektrisches Zweirad mit bis zu 16 kW (22 PS) Leistung, 130 Kilometern Reichweite und 110 km/h Höchstgeschwindigkeit. Die Zielgruppe: Kräfte, die auf Wendigkeit, Tempo und Tarnung angewiesen sind – sei es auf rauem Gelände, bei verdeckten Operationen oder in urbanen Konfliktzonen.

Von Vision zur Verteidigung: letzte Chance für eRockit

Während eRockit Defence auch zivile Anwendungen ins Auge fasst – ein sogenannter Dual-Use-Ansatz –, stellt sich dennoch die Frage: Ist dieser Schritt Ausdruck von Innovationskraft oder ein letzter Rettungsanker nach dem Scheitern im Konsumentenmarkt? Die einstige Vision, nachhaltige urbane Mobilität neu zu denken, wirkt im neuen militärischen Kontext zumindest widersprüchlich.

Kritiker sehen im Strategiewechsel ein Beispiel dafür, wie schnell technologische Unternehmen ihre ursprünglichen Ideale aufgeben, wenn wirtschaftlicher Druck steigt. Andere sehen in eRockit Defence eine realistische Neupositionierungin einem wachsenden Marktsegment – schließlich steigt die Nachfrage, so makaber es auch klingen mag, nach flexiblen, klimafreundlicheren Lösungen auch im Verteidigungsbereich.

Der ewige Traum vom Börsengang

Bei der eRockit AG ging es zum Ende hin gefühlt nur noch um die Zeichnung weiterer Anteile und neue Finanzierungsrunden. Hierbei hätte der Fokus deutlich mehr auf das Produkt und die Marktanalyse gesetzt werden sollen. Für Ende März 2027 ist bereits ein Börsengang des Joint Ventures geplant. Spätestens dann wird sich zeigen, wie marktfähig und gesellschaftlich akzeptiert die Idee eines elektrisch betriebenen Militärbikes wirklich ist – und ob der Sprung von der Pleite zur Front langfristig trägt.

Denn eines ist sicher: Mit leisen Zweirädern in bewaffnete Konflikte zu rollen, ist ein anderes Terrain als über Berlinsholprige Straßen und kaputte Brücken zu fahren.

#SteckerBiker Fazit: wenig Hoffnung – viel Zweifel

Die angekündigte Zusammenarbeit zwischen Ari Motors und eRockit steht bislang nur auf dem Papier – eine Absichtserklärung ohne greifbare Substanz. Die einstigen Produktionsräume in Hennigsdorf sind geräumt, das Team weitgehend verschwunden. Geblieben ist allein der charismatische Geschäftsführer Andreas Zurwehme, der nun an vorderster Front steht – allein, aber nicht chancenlos.

Die Hoffnung: Dass Zurwehme auf die fundierte Markterfahrung von Ari Motors hört – und bereit ist, alte Konzepte wie den Pedalantrieb kritisch zu hinterfragen. Denn im militärischen Einsatz zählt Effizienz vor Ideologie. Ein eigens für Spezialkräfte konzipiertes, voll elektrisches Militär-Zweirad hätte im Kontext wachsender Verteidigungsbudgets durchaus Potenzial. Doch ob der Human-Hybrid-Ansatz mit Muskelkraftsteuerung in diesem Segment tatsächlich überzeugt, bleibt mehr als fraglich.

Sollte eRockit weiterhin auf den Pedalantrieb ohne klassische Gasgriff-Option bestehen, dürfte dieser letzte Versuch, aus der Nische in den Markt zu fahren, scheitern. Ohne funktionalen Pragmatismus wird eRockit Defence wohl das letzte Kapitel in einer ambitionierten, aber letztlich verkannten E-Mobilitätsgeschichte schreiben.

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