Viele Motorradliebhaber wie ich fragen sich schon seit Längerem, warum die großen Motorradhersteller so zögerlich auf die Elektrifizierung reagieren – obwohl die Automobilbranche diesen Weg durch gesetzliche Regelungen längst eingeschlagen hat.
Die Pioniere: Zero Motorcycles und andere Start-ups
Zero Motorcycles, eines der ersten Unternehmen, das sich der Elektrifizierung verschrieben hat, existiert inzwischen seit 19 Jahren. 2006 als motiviertes Start-up mit klarer Zukunftsvision gegründet, wollte und will Zero die Art, wie wir über Motorräder denken, verändern.
Seitdem sind einige Start-ups gekommen und gegangen – noch bevor traditionelle Marken wie Honda überhaupt ernsthaft in die Nähe elektrischer Motorräder rückten. Ich selbst fuhr 2009 zum ersten Mal ein Elektromotorrad. Trotz der einfachen Technik und der begrenzten Möglichkeiten erkannte ich damals bereits das Potenzial. Aber die Entwicklung verlief nicht so schnell wie erhofft … oder war ich einfach zu naiv?
Warum die großen Hersteller zögern
Was ist also der Grund für das langsame Umdenken bei großen Marken wie Honda? Teilweise liegt es an Vorsicht, teilweise an einer strategischen Analyse der weltweiten Marktentwicklung. Aus dieser Perspektive ist es verständlich, dass solche Schritte wohlüberlegt und langfristig geplant werden.
Mittlerweile ist klar, dass viele Motorradfahrer zumindest ein elektrisches Pendant zur Mittelklasse oder zu schwereren Verbrennern in Betracht ziehen würden. Doch die aktuell verfügbare Batterietechnologie bietet noch nicht die Reichweite, die sich viele wünschen. Auch der Anschaffungspreis spielt eine große Rolle – ähnlich wie vor acht Jahren bei Elektroautos. Dort hat der wachsende Markt an Gebrauchtwagen mit brauchbarer Reichweite die Einstiegshürden für viele gesenkt.

Hondas Strategie: Abwarten und analysieren
Ein Unternehmen wie Honda verfügt über ausreichend Know-how, um den Markt genau zu analysieren und den besten Zeitpunkt für den Einstieg zu ermitteln. Ein weiterer wichtiger Punkt: Honda hält derzeit rund 40 % Marktanteil am weltweiten Motorradmarkt – und diesen Anteil will man natürlich auch in der Ära der Elektromobilität nicht verlieren.
Als etablierte Marke beobachtet Honda die Konkurrenz genau und analysiert, wo die größten Chancen liegen. Und jetzt kommt der entscheidende Punkt: Honda geht nun selbst in die Offensive.
Honda baut E-Motorrad-Fabrik in Indien
Mit diesem Wissen baut Honda nicht nur an Plänen für die Entwicklung von Elektromotorrädern – sondern errichtet sogar eine speziell darauf ausgelegte Fabrik in Indien.
Indien setzt seit Jahren verstärkt auf die Elektrifizierung seiner Fahrzeuge. In den Megastädten des Landes sind Zweiräder das vorherrschende Verkehrsmittel. Die Gründe für den Wandel hin zur Elektromobilität sind klar: Es geht um Lebensqualität und Volksgesundheit – unterstützt durch zahlreiche Regierungsmaßnahmen.
Honda beobachtet, während andere vorpreschen
Während indische Hersteller wie Ola Electric große Fortschritte machten – aber auch Rückschläge hinnehmen mussten – hat Honda geduldig beobachtet und analysiert. Trotz der Kritik an der langsamen und vielleicht zu vorsichtigen Entwicklung elektrischer Zweiräder, trägt gerade dieser Ansatz zur guten Reputation Hondas bei: Zuverlässigkeit und Kundenservice sind Werte, die Honda nicht aufs Spiel setzen will – auch nicht im neuen Terrain der Elektrozweiräder.
Der Einstieg auf Honda-Art
Honda hat die ersten Schritte in einem Markt mit gewaltigem Potenzial gemacht – aber zu eigenen Bedingungen. Man darf nicht vergessen: Für ein Unternehmen wie Honda bedeutet der Wechsel zur Elektromobilität, vollständig neue Produktionsstätten aufzubauen – mit neuen Fachkräften und Prozessen, parallel zum alten Geschäftsmodell mit Verbrennungsmotoren. Diese „fossile Ballast“ macht den Übergang nicht einfacher.
Die neue Elektrozweirad-Fabrik in Bengaluru soll 2028 produktionsbereit sein. Einige Komponenten werden standardisiert, während Batterien von externen Herstellern bezogen werden. Honda ergreift alle nötigen Maßnahmen, um Produktionskosten zu senken und die Effizienz zu steigern – mit dem Ziel, auf dem indischen Elektrozweiradmarkt wettbewerbsfähig zu sein. Indien ist der Startpunkt, aber langfristig will Honda auch global expandieren.

Ohne Altlasten: Die Stärke neuer Marken
Wie das Ganze ausgeht, bleibt abzuwarten – doch aus Hondas Sicht ist der gewählte Weg nachvollziehbar. Ein Blick auf die Automobilbranche zeigt, dass chinesische Hersteller aktuell führend im Bereich der Elektromobilität sind – bei Autos wie bei Zweirädern. Diese neuen Marken tragen keine fossilen Altlasten mit sich herum, die den Wandel verlangsamen.
Obwohl Honda über Jahrzehnte ein stabiles und zuverlässiges Image aufgebaut hat, greifen Verbraucher in der heutigen wirtschaftlichen Lage vermehrt zu günstigeren Alternativen. Ein Blick auf die europäische und amerikanische Autoindustrie zeigt, wie schnell sich Marktverhältnisse ändern können. Ist vor 55 Jahren nicht etwas Ähnliches passiert?
Dieser Artikel wurde ursprünglich in niederländischer Sprache auf Facebook veröffentlicht. Ihr findet ihn hier: