Von der Kinderrampe auf die Radwege der Erwachsenenwelt
Was als elektrische Spielerei für Kinder begann, nimmt nun eine neue Dimension an: STACYC, die Marke, die vor allem für ihre elektrischen Laufräder für Kinder bekannt ist, hat mit dem neuen 20h DRIVE ihr erstes E-Bike für Erwachsenevorgestellt. Unterstützt wird dieser Schritt von LiveWire, der Elektromotortochter von Harley-Davidson. Doch diese Kooperation ist mehr als nur eine Produkterweiterung. Es könnte sich um einen strategischen Wendepunkt handeln – für STACYC, für LiveWire und vielleicht sogar für Harley-Davidson selbst.
Das neue Modell: 20h DRIVE
Das 20h DRIVE ist ein Klasse-2-E-Bike mit Pedalunterstützung und Gasgriff, ausgelegt für eine Geschwindigkeit bis 32 km/h (20 mph). Angetrieben wird es von einem 500-Watt-Nabenmotor, gespeist durch zwei 36V-6Ah-Akkus. Die Ladezeit beträgt nur 45 Minuten pro Akku. In drei Fahrmodi (Boardwalk, Standard, Sport) soll das Bike vielseitig einsetzbar sein – sei es zum Pendlereinsatz, für entspannte Fahrten zum Wochenmarkt oder um mit den Kindern Schritt zu halten.
Mit 20×4-Zoll-Reifen, hydraulischen Scheibenbremsen, Aluminiumrahmen, LED-Beleuchtung und einem Farbdisplay ist das Bike technisch auf der Höhe der Zeit. Preislich liegt es bei rund 2.199 US-Dollar und ist online sowie bei ausgewählten Händlern verfügbar.

Die Evolution einer Kindermarke
STACYC war bislang vor allem in der Offroad- und Motocross-Szene für Kinderfahrzeuge bekannt. Die elektrischen Balance-Bikes ohne Pedale gelten als spielerischer Einstieg in die Welt des motorisierten Zweiradsports. Harley-Davidson übernahm STACYC 2019 und nutzte die Marke, um eine neue Generation an Elektromobilität heranzuführen. Mit dem 20h DRIVE wächst nun nicht nur die Zielgruppe, sondern auch die Bedeutung der Marke innerhalb des Konzerns.

LiveWire: Zwischen Anspruch und Realität
Die Übernahme und Unterstützung von STACYC durch LiveWire ist dabei ein Zeichen dafür, dass sich das Unternehmen neue Wege erschließen will – auch dringend muss. Denn die Verkaufszahlen der Kernprodukte von LiveWire sind 2025 dramatisch eingebrochen.
In den ersten drei Monaten des Jahres wurden weltweit nur 33 Fahrzeuge verkauft – ein Rückgang um 72 % im Vergleich zum Vorjahr. Auch die neuen S2 Arrow-Modelle wie die Del Mar, Mulholland oder die kürzlich präsentierte Alpinista konnten diesen Negativtrend bisher nicht stoppen.

Neuausrichtung auf Leichtfahrzeuge?
Angesichts dieser Lage richtet LiveWire seinen Fokus offenbar neu aus: Statt schwerer, teurer Elektromotorräder mit geringer Stückzahl möchte man sich verstärkt elektrischen Leichtkrafträdern (125ccm-Äquivalent) widmen. Unter dem Namen LiveWire S3 sollen neue, leichtere Modelle auf Basis der S2-Plattform erscheinen – mit klarem Fokus auf Märkte wie Asien, wo die Nachfrage nach urbanen, kompakten Elektromotorrädern derzeit rapide steigt.
Darüber hinaus kursieren seit längerem Gerüchte über einen elektrischen Scooter mit dem Arbeitstitel DOKI, der in Zusammenarbeit mit dem taiwanesischen Hersteller Kymco entstehen soll. Kymco bringt nicht nur Erfahrung in der Rollerproduktion mit, sondern verfügt auch über ein eigenes Akkutauschsystem namens Ionex.

Strategische Diversifizierung durch STACYC
In diesem Kontext erscheint die Erweiterung des STACYC-Portfolios um ein Erwachsenenrad wie das 20h DRIVE als logischer Schritt. Es bietet eine Eintrittsmöglichkeit in den wachstumsstarken E-Bike-Markt, ohne sich mit etablierten Motorradriesen wie Zero Motorcycles oder Energica messen zu müssen.
Stattdessen zielt man auf familienfreundliche Mobilität, ein Segment, das emotional wie wirtschaftlich enormes Potenzial birgt. Wer sein Kind mit einem Stacyc-Bike ausstattet, bekommt nun auch das passende „Elternbike“. Dank kompatibler Akkus können ganze Familien mit nur einem Ladegerät unterwegs sein.

Der Harley-Davidson Kontext: Vom Biker-Mythos zur Mobilität von morgen?
Diese neue Ausrichtung dürfte nicht zuletzt ein Symptom für die tiefer liegenden Probleme bei Harley-Davidson selbst sein. Der Konzern leidet seit Jahren unter sinkenden Absatzzahlen. Die einst so stolze „Biker-Generation“ altert, während junge Zielgruppen vom traditionellen Harley-Image nicht mehr angesprochen werden.
Hinzu kommen Unruhen im Management und wachsende Unzufriedenheit unter den Aktionären. LiveWire sollte einst die elektrische Rettung sein – eine Art Tesla im Zweiradbereich. Doch mit Verkaufszahlen wie aktuell scheint dieser Traum vorerst geplatzt.
Ein Neuanfang im Kleinen?
Vielleicht liegt die Zukunft von Harley-Davidson und LiveWire nicht in spektakulären Hochleistungsbikes, sondern in der bodenständigen, modularen E-Mobilität für den Alltag. Das 20h DRIVE von STACYC könnte in dieser Hinsicht ein erster Testballon sein. Wenn das Modell gut ankommt, wären weitere Varianten denkbar: Ein STACYC Lastenrad? Ein kompaktes E-Mofa im Retrolook? Oder sogar ein Einstiegsscooter unter dem Dach von LiveWire und STACYC?

#SteckerBiker-Fazit: Vom Spielzeug zur Strategie
Was auf den ersten Blick wie eine harmlose Produkterweiterung aussieht, könnte sich im Nachhinein als strategische Weichenstellung erweisen. In einer Zeit, in der die traditionellen Konzepte von Mobilität, Markenbindung und Kundenerwartungen im Wandel begriffen sind, ist Flexibilität gefragt.
STACYC hat bewiesen, dass sie Kinder für elektrische Zweiräder begeistern können. Vielleicht gelingt es ihnen nun auch, deren Eltern für eine neue Form der elektrischen Mobilität zu gewinnen – während LiveWire seine Richtung neu kalibriert und Harley-Davidson sich vom Klischee des alternden Rockers emanzipiert.
Der Weg dorthin ist unsicher. Aber wer, wenn nicht ein Unternehmen aus dem Motorradbau, sollte wissen, wie man die Balance hält, wenn der Untergrund rutschig wird?
Siehe auch:
https://steckerbiker.de/news/hersteller/livewire-weiter-in-der-krise/
Link zum Hersteller: